12 Minuten bis nirgendwo
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by Molot
Als das Fusionskraftwerk des Himmels allmählich über den Horizont steigt, startet er wieder, der ganz normale Tag in dieser einmaligen Stadt. Die Sonnenstrahlen lassen die orangene Brücke feuerrot aufleuchten, so als wollte sie sagen: ‚
Hier bin ich, holt mich doch… Ich bin von Menschenhand gebaut und nichts wird mich stürzen.’ Das nautische Zwielicht schwindet wird aus der San Francisco Bay gepresst wie der Saft aus einer reifen Apfelsine.
Die ersten Pendler sind schon auf dem Weg, geduldig stehen sie an der Mautstelle an, warten auf ihren Einlass in die Stadt. Sie verstopfen die Straßen mit ihren Autos oder wuseln wie die Ameisen durch die Straßen. Langsam aber sicher mischen sich die ersten Touristen unter die Menschenmassen.
San Francisco, immer eine Reise wert… prangt es auf der ganzen Welt von den zahlreichen Reisebroschüren. Die Krise, von der überall geredet wird scheint hier keinen zu interessieren.
Die Cable-Cars, diese jahrhunderte alten Relikte aus einer längst vergangenen Zeit sind wie jedes Wochenende mit Touristen gefüllt, die sich die bekannten Sehenswürdigkeiten wie den Golden Gate Park oder den Fishermans Warf ansehen wollen. Hier und dort sind gelegentlich Streitigkeiten zu sehen, welche allerdings schnell von den dezent platzierten Soldaten geschlichtet werden. Die Krise, sie ist gegenwärtig wenn man genau hinschaut, doch die besser betuchten, die die sich den Urlaub hier noch leisten können, sie interessiert das nicht.
Jonathan steht an seinem Fenster und beobachtet fasziniert die Szenerie, wie drei Soldaten in ihren glänzenden Rüstungen zu einem Streit kommen. Hitzige Wortfetzen und Beleidigungen dringen an sein Ohr, aber er versteht nur die Hälfte oder weniger von dem Gesagten. Sein Blick wandert ruckartig nach Nordosten, als ihm eine Lichtreflexion ins Auge fährt. Langsam dringt das markante Röhren eines Mikrofusionsmotors an sein Ohr…
Samuel McKay, seines Zeichens Immobilienmakler und Kleinganove genießt noch einmal den Blick aus seinem Büro im zweiundsechzigsten Stockwerk der Transamerica Pyramid. Unter ihm tanzen die vielen bunten Lampions im Wind, der durch das zum Großteil verwaisten Chinatown weht… Ein paar wenige Chinesen trauen sich noch bei Tage auf die Straße. Die meisten sind schon längst woanders hingegangen, sei es wegen der Repressalien, die sie von allen Seiten zu spüren bekommen oder weil sie nicht mehr in dem Land leben wollen, dass im Krieg mit ihrer Heimat liegt.
Grinsend packt Samuel seine Aktentasche und schlendert aus seinem Büro. Mit einem Bing und begleitet von einem leisen Surren öffnet sich die Fahrstuhltür. Welch prachtvoller Anblick ihm sich bietet, die süße Susan aus der Buchhaltung begrüßt ihn mit einem leicht schüchternen „Hi“ und lächelt ihn unmerklich an. <Ja
, du hast es drauf… Bei der Firmenfeier in wenigen Wochen ist die Kleine fällig… Lass sie ruhig noch etwas zappeln…> „Hallo,“ grüßt er die zierliche Blondine zurück, „sie sind Susan, richtig?“ – „Ja…“ <
Er kennt mich…> seufzt sie innerlich und merkt nicht, wie sie langsam an Gesichtsfarbe gewinnt.
Die Fahrstuhltür öffnet sich erneut und ein kurzer Blick verrät Samuel, dass Susan ihn hier verlässt. Die Tür schließt sich wieder und Samuel ist alleine mit seinen Gedanken an den vergangenen Tag und die letzte Nacht, leise untermalt von seichter Hintergrundmusik.
Der Geruch von Waffenöl liegt in der Luft, die 1873er Winchester liegt auf dem Bett und wartet auf ihren Einsatz. Emotionslos und metallisch kalt aber doch mit einer gewissen Wärme lächelt sie ihren Besitzer an und wartet…
Immer wieder tigert Chen durch das billige Hotelzimmer schaut alle paar Sekunden auf den Highwayman auf der anderen Straßenseite. <
Das wirst du mir büßen du kleiner Wichser… Warte nur… Meine Zeit ist gekommen…> Chen blickt zur Uhr und beobachtet, wie der Sekundenzeiger langsam über das Ziffernblatt schleicht. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn, die unerbittliche Mittagssonne heizt das Zimmer immer weiter auf. <
Gleich ist es soweit…> Unendlich oft ist er diesen Moment schon durchgegangen und so wirken Chens Bewegungen fast schon programmiert. <
So lange geplant und dann war es doch so leicht… Ein Anruf hat genügt und schon setzt sein einstudierter Ablauf ein… In drei Minuten wird er durch diese Drehtür treten und in sein Prollwagen einsteigen…>
Chen wiegt die Waffe in seiner Hand, prüft die Balance und legt sie einmal locker an. Liebevoll legt er nach und nach die 6 Patronen vom Kaliber .22 in die Waffe ein und entsichert sie, <
2 Minuten noch>, er schiebt den Vorhang ein wenig beiseite und platziert sich neben dem geöffneten Fenster.
Mit einem *Bing* öffnet sich die Aufzugtür erneut und diesmal ist Samuel auf der richtigen Etage. Durch die abgedunkelten Scheiben der Eingangshalle lässt sich das Licht was gleißend hell von den weißen Fassaden reflektiert wird nur erahnen. „Viel Erfolg…“ schallt es ihm vom Rezeptionisten entgegen… Lächelnd und ein wenig arrogant winkt Samuel dem Mann nur zu und lässt Geschickt seinen Autoschlüssel um den Zeigefinger kreisen. Da steht er, sein Prachtstück, ein 2073er Highwayman mit verchromter Zuluftkühlung, aufgebohrten Plasmainjektoren und einem weißen Lederverdeck im Retrolook. Kurz betrachtet er seinen Wagen und lässt seinen Blick die Straße entlang schweifen.
*brzz* ‚Tango Delta an Basis, wir haben einen 1034 an der Market Ecke 8th-Street… Scheinbar will einer die Zeche im Hotel Whitcomb prellen. Wir nähern uns über den Rathausplatz… Tango Delta Ende’ *brzz*
„Irgendetwas stimmt mit meiner Funke nicht, ich habe ständig Störgeräusche drauf…“ hallt es mechanisch aus der Powerrüstung. Das Hauptquartier hat schon seit einigen Tagen die Alarmstufe erhöht, aber keinerlei genaueren Informationen herausgegeben oder sich dazu ausgelassen, wie sie sich die Wachtruppe gegenüber der Zivilbevölkerung zu verhalten hat.
Der optische Sensor ortet eine Wärmequelle in einem kleinen Versteck und ein kurzer Zoom gibt Entwarnung, nur ein kleiner Junge, der sie beobachtet.
„Was ist hier los?!“ verlangt die blecherne Stimme zu wissen. Aufgewühlt antwortet der Afroamerikaner in dem Pagenanzug der ihn als Hotelangestellten ausweist: „Ich habe diesen Mann erwischt wie er in ein Funkgerät gesprochen hat, ich glaube er ist ein chinesischer Spion…“ Augenblicklich richten sich Waffen auf die beiden Beteiligten des Streites. „Sie kommen beide mit… Leisten sie keinen Widerstand!“ – „Was?! Nein!! ICH?! ER… ER ist der Spion… Ich…“ Als die Patroullie von einem Lichtblitz kurz abgelenkt ist, gerät der Schwarze in Panik und nimmt seine beiden Beine in die Hand. Er läuft ein paar Meter auf ein sich schnell näherndes Fahrzeug hinzu. „STEHENBLEIBEN!!!“ ertönt eine kurze Warnung bevor ein hellgrüner Plasmastrahl sich durch die Luft und den Rücken des Schwarzen frisst.
Stocksteif von dem Schock das abrupte Ende eines menschlichen Lebens anzusehen drückt sich Jonathan ganz flach auf den Boden. Die Patroullie schenkt ihm keine Beachtung und schleift den als Spion beschuldigten Weißen mit sich.
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Ganz schön leer die Straßen… Ich frage mich, wo die alle sind…> Samuel tritt durch die Tür und steuert direkt auf seinen Wagen zu. Ein kurzer Druck auf die Fernbedienung und schon begrüßt ihn sein Wagen freudig piepend. <
Was ist das?> Glänzend blickt ihn ein Quarter vom Boden aus an. Und er bückt sich diesen aufzuheben…
Ein Schuss peitscht durch die Luft. „Verdammte Scheiße…“ verflucht Chen den arroganten Aufreißer und sein Gewehr, dass einige grad nach Links zu ziehen scheint.
Samuel duckt sich hinter seinen Wagen und sieht sich hektisch um. <
Verdammt noch mal, keine Patroullie da, wenn man sie braucht…> Hastig versucht er die Beifahrertür zu öffnen und ins Auto zu kommen.
Ein weiterer Schuss schlägt in die Mauer hinter ihm ein, Steinfragmente rieseln herab und schon wieder muss Chen nachladen. „Verdammt, verdammt, verdammt… Das sollte alles ganz anders laufen… Der soll büßen, für das was er meiner Schwester angetan hat…“
Samuel hat sich bereits hinter sein Steuer gezogen und den Wagen angelassen als ein weiterer Schuss durch die Scheibe schlägt.
Samuel zuckt zusammen und drückt das Fusionsregelpedal voll durch. Mit quietschenden Reifen braust der Highwayman um die Ecke, ein weiterer Schuss durchschlägt das Blech seiner Fahrertür, panisch rauscht Samuel davon.
Mit viel zu hoher Geschwindigkeit braust ein Wagen über die Marketstreet, die Patroullie aber ignoriert den Wagen vorerst, da sie einen Gefangenen zum Verhör zu bringen haben. Am Steuer sitzt ein blasser, kaltschweißiger Mann, eingesunken und mit letzter Kraft hält er das Lenkrad auf seinem Schlingerkurs. Blut tritt aus seinem Brustkorb und das Atmen fällt ihm mit jedem Zug schwerer. Er versucht dem Objekt dass dort reglos auf der Straße liegt auszuweichen, es ist ein schwarzer Mann, der dort in einer Lache seines Blutes liegt. Ein Schrei ertönt und Jonathan versucht sich noch aus seinem Unterschlupf zu befreien… Zu spät, der Wagen hält direkt auf ihn zu, der Kopf des Fahrers hängt schlaff zur Seite...
Eine Sirene ertönt und wenige Minuten später macht sich eine unglaubliche Hitze in Jonathan breit. Er glaubt zu kochen, ja gar zu verbrennen. Schwach schlägt er die Augen auf und seine Augen wandern über den schmerzenden Rest seines zertrümmerten Körpers. Schwere Schritte nähern sich im Laufschritt und ein Funken Hoffnung glimmt wieder in dem Jungen, doch wenig später erlischt diese bereits in einem flammenden Inferno. Eine Feuerwalze kriecht über ihn hinweg und brennt alles weg, was ihr in den Weg kommt. Die Soldaten versuchen noch zu flüchten. Zwecklos. So werden ihre eisernen Rüstungen zu ihren metallischen Särgen.
Angesengt und ein wenig angeschmolzen steht sie noch da… Ihre grellorange Farbe ist abgebrannt… Was steht ist nur noch das metallische Gerüst. In den geschmolzenen Asphalt sind einige Autowracks eingesunken und machen die Brücke unpassierbar für andere Fahrzeuge.
Die Ruinen der Hochhäuser San Franciscos stehen hoch über die Stadt, wie tote Bäume ohne den Hauch einer Seele starren sie trübe herab auf die leergefegten Straßen. In ihren unzähligen toten Augen hängen nur noch Fragmente der Scheiben, die nicht von der Hitzewelle vaporisiert wurden.
Ein paar menschliche Überreste in Form von Asche wehen über den aufgebrochenen Asphalt der Marketstreet, einsam verteilt liegen größere und kleinere Metallklumpen, ehemals stattliche Limousinen oder LKW’s und an den Wänden die nicht eingestürzt sind hat sich der Schatten des Schreckens gebildet. Die Silhouetten der Menschen zum Zeitpunkt ihres Todes haben sich eingebrannt und spiegeln die Szenerie des Entsetzens wieder.
Stille, kein Geräusch ist in dieser einst so lebhaften Stadt zu hören. Nichts bewegt sich, nichts lebt hier mehr, nur noch wenig erinnert an den einstigen Glanz.
Ein seichter Wind spielt mit dem Wasser in der San Francisco Bay, setzt ihm kleine Schaumkronen auf und beobachtet, wie sich ein kleiner Strudel bildet, der immer größer wird. Ein metallischer Gegenstand schlägt durch die Oberfläche und schaut sich suchend um, verschwindet wieder nur um kurze Zeit später mit seinem gesamten, gewaltigen Stahlkörper aufzutauchen…